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Pluripotente Stammzellen vom nördlichen Breitmaulnashorn: BioRescue kommt der künstlichen Eizelle ein Stück näher

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Das vom Bundesministerium für Bildung und Forschung (BMBF) geförderte BioRescue-Konsortium entwickelt fortgeschrittene Methoden der assistierten Reproduktion, um das nördliche Breitmaulnashorn vor dem Aussterben zu bewahren. Eizellen der letzten verbliebenen Weibchen spielen dabei eine Schlüsselrolle, denn aus ihnen werden mittels in-vitro-Befruchtung mit Spermien verstorbener Bullen Embryonen erzeugt. Das Max-Delbrück-Centrum für Molekulare Medizin (MDC) arbeitet gemeinsam mit Partnern in München und Kyushu (Japan) an einer zweiten Strategie für die Gewinnung von Eizellen – sie aus Stammzellen zu erschaffen. Das Team hat nun induzierte pluripotente Stammzellen (iPSCs) aus dem Nördlichen Breitmaulnashorn Nabire erzeugt und dabei den Prozess der Erzeugung und Differenzierung von iPSCs deutlich vorangetrieben. Dieser bedeutende Schritt zur Erschaffung von künstlichen Eizellen aus Stammzellen ist in der Fachzeitschrift „Scientific Reports“ beschrieben.

Die Wissenschaftler:innen der MDC-Technologieplattform „Pluripotente Stammzellen“ und des Helmholtz Zentrums München konnten sogenannte induzierte pluripotente Stammzellen (iPS-Zellen) aus konservierten Hautzellen des nördlichen Breitmaulnashorns Nabire erzeugen und eingehend beschreiben. Nabire lebte im Safari Park Dvůr Králové (Tschechische Republik), wo es im Jahr 2015 im Alter von 31 Jahren starb. Am Tage ihres Todes sicherten Wissenschaftler:innen Haut- und Gewebeproben und konservierten sie für spätere Verwendung. Die Herstellung der iPS-Zellen gelang dem Stammzellforscher Dr. Micha Drukker und seinem Team vom Helmholtz Zentrum München sowie vom Leiden Academic Centre for Drug Research der Universität Leiden mit der Methode der episomalen Umprogrammierung. Dafür schleusten Drukker und sein Team fremde DNA-Moleküle in das Genom der Hautzellen ein, sogenannte Plasmide. Diese enthalten Gene, die die Hautzellen zu iPS-Zellen umprogrammieren. Dies ist das erste Mal, dass die Erzeugung von iPSCs mit Proben eines Nashorns dieses Alters gelang. Da die zur Verfügung stehenden Zellproben des Nördlichen Breitmaulnashorns allesamt von älteren Tieren stammen, verbessert dies die Aussichten für den Erfolg des Stammzellansatz zur Erzeugung künstlicher Eizellen für die fortgeschrittene assistierte Reproduktion erheblich.

Ein zweiter, nicht minder wichtiger Fortschritt für den Prozess und die Prozeduren zur Erzeugung von Stammzellen bei Nashörnern sind die Erkenntnisse, die das Team über die Differenzierung von Stammzellen in verschiedenen Zuständen gewonnen hat: Es gibt verschiedene Zustände von iPS-Zellen. Sie können naiv – in einem sehr ursprünglichen Zustand – oder in einem aktivierten Zustand (primed) vorliegen. Von letzterem nimmt man an, dass er in der Embryonalentwicklung etwas weiter vorangeschritten ist. Aus Versuchen mit Stammzellen von Mäusen ist bekannt, dass sie Keimbahnzellen besonders gut beim Übergang von aktiviert zu naiv hervorbringen. Beim Versuch, die Nashornzellen in den naiven Zustand zu versetzen, starben diese jedoch zunächst ab. Deshalb führte das Team ein Gen in die Nashornzellen ein, das den Zelltod verhindert. Mit Erfolg: Sie erhielten naive iPS-Zellen. „Wir haben die Zellen ausführlich charakterisiert, wobei die Analyse der Genaktivität (Transkriptom) eine wichtige Rolle spielte“, erklärt Vera Zywitza. „Die erfolgreiche Konvertierung in den naiven Zustand der Pluripotenz ist ein vielversprechender Ausgangspunkt, um Keimbahnzellen zu generieren.“

 

Dennoch machten Vera Zywitza und ihre Kolleg:innen an dieser Stelle vorerst nicht weiter. „Die iPS-Zellen enthalten dauerhaft fremdes genetisches Material, nämlich die Umprogrammierungsfaktoren und das Gen gegen den Zelltod. Daraus können wir keine Keimzellen machen, da das Risiko besteht, dass diese krankhaft verändert wären“, erklärt Vera Zywitza. Mittlerweile hat die Arbeitsgruppe von Sebastian Diecke weitere iPS-Zellen erzeugt. Dafür schleuste sein Team die Umprogrammierungsfaktoren mithilfe von RNA-Viren ein. Diese neuen iPS-Zellen enthalten nichts mehr, was nicht hineingehört. Nun versuchen die Wissenschaftler:innen, daraus Vorläuferzellen von Eizellen herzustellen. „Diese Arbeit trägt erheblich zum Verständnis der Pluripotenz bei – also zur Fähigkeit vom Stammzellen, sich in alle Körperzellen zu differenzieren“, sagt Zywitza. „Damit markiert sie einen vielversprechenden Start für die Kultivierung von Keimbahnzellen und ist ein bedeutender Meilenstein auf dem Weg zur künstlich erzeugten Nashorn-Eizelle.“

Eine Fortpflanzung auf natürlichem Wege ist für das nördliche Breitmaulnashorn angesichts eines verbleibenden Bestandes von zwei Weibchen nicht mehr möglich. Das vom Leibniz-Institut für Zoo- und Wildtierforschung (Leibniz-IZW) geleitete BioRescue-Konsortium entwickelt deshalb Methoden, die Nachkommen trotz dieser widrigen Umstände möglich machen könnten. Sie entnehmen den weiblichen Tieren unreife Eizellen (Oozyten), befruchten diese im Labor mit aufgetauten Spermien bereits verstorbener Bullen und erzeugen auf diese Weise Embryonen – 14 sind bereits in Flüssigstickstoff eingelagert. Die Embryonen können in einem neu entwickelten Verfahren südlichen Breitmaulnashornweibchen eingesetzt werden, welche dann als Leihmütter den ersehnten Nachwuchs für die seltensten Nashörner der Welt austragen.

„Jeder Schritt dieses Verfahrens ist wissenschaftliches Neuland und insbesondere die Verfügbarkeit der Eizellen und die genetische Vielfalt der repräsentierten Population stellen eine Herausforderung dar“, sagt BioRescue-Projektleiter Prof. Thomas Hildebrandt, Abteilungsleiter am Leibniz-IZW. Nur von einem Individuum konnten erfolgreich Eizellen entnommen und befruchtet werden, weshalb Strategien für die Gewinnung von einer höheren Zahl von Eizellen von mehreren nicht verwandten Tieren gesucht wurden. Als Teil des BioRescue-Konsortiums entwickeln das MDC und die Universität Kyushu gemeinsam mit Kooperationspartnern wie dem Helmholtz Zentrum München Verfahren zur Herstellung von Gameten (Eizellen und Spermien) aus Hautzellen. Prof. Katsuhiko Hayashi (Universität Kyushu) gelang es 2016, aus der Haut von Mäusen Eizellen zu generieren, diese künstlich zu befruchten und weiblichen Mäusen einzupflanzen. Die mit dieser Methode gezeugten Mäuse waren gesund und fruchtbar. „Gelänge dies auch für das nördliche Breitmaulnashorn, könnten wir die aufwändigen Eizellentnahmen bei den lebenden Tieren einstellen und dennoch Embryonen in größerer Zahl erzeugen“, sagt Hildebrandt. „Dieser Weg würde zudem den Kreis jener Tiere erheblich erweitern, die wir zur Herstellung der Embryonen nutzen könnten.“ Bislang beschränkt sich dieser Kreis auf die zwei lebenden Weibchen als Eizellenspenderinnen sowie auf vier Bullen, von denen Spermien kryokonserviert wurde. Zellkulturen sind nicht nur von diesen sechs Individuen verfügbar, sondern auch von sechs anderen Nördlichen Breitmaulnashörnern – zum Beispiel von Nabire.

Alle Prozeduren von BioRescue werden einer gründlichen ethischen Bewertung unterzogen, um systematisch die Perspektiven des Tierschutzes und des Erhaltungswertes der Verfahren zu bewerten. Da dies besonders wichtig ist, wenn bahnbrechende Technologien für den Naturschutz entwickelt werden, ist ein Team von Spezialisten für Tierethik unter der Leitung von Prof. Barbara de Mori von der Universität Padua in Italien Teil des BioRescue-Teams. Dieses Team bewertet auch die ethische Dimension der stammzellbezogenen Verfahren innerhalb von BioRescue und wird jeden weiteren Schritt des Projekts eng begleiten.

Im Folgenden stehen die BioRescue-Wissenschaftler:innen vor der Herausforderung, die iPS-Zellen so zu „programmieren“, dass sie sich tatsächlich zu Eizellen oder Spermien entwickeln. Gelingt dies, würde das weitere Vorgehen dem des bisher von BioRescue durchgeführten Ansatzes gleichen. Die künstlichen Eizellen würden mittels ICSI-Verfahren (intrazytoplasmatische Spermieninjektion) im Labor befruchtet werden und sich zu Embryonen des nördlichen Breitmaulnashorns entwickeln. Auch diese Embryonen müssten in Flüssigstickstoff kryokonserviert werden, ehe sie zum Transfer in ein Leihmuttertier wieder aufgetaut würden. „Der Stammzellansatz ist für ein Teil unserer Mission ein enorm wichtiges Glied in der Kette, doch befreit er uns nicht davon, herausfordernde Schritte wie den Embryotransfer und damit die Erzeugung einer Trächtigkeit in einem Leihmuttertier zu meistern“, schließt Hildebrandt.

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